2012 wurden die ersten wikifolio-Zertifikate emittiert. Genau so lang ist Christian Scheid als Trader bereits mit von der Partie. Sein wikifolio Special Situations long/short gehört zu den erfolgreichsten wikifolios überhaupt. Mit einer Performance von gut 880 % seit November 2013 schlägt der erfahrene Finanzjournalist und Börsianer nicht nur sämtliche Indizes – er generiert auch nachweislich jede Menge Alpha. Scheid setzt in seinem wikifolio auf Sondersituationen - ein Klassiker sind Übernahmespekulationen, aber auch Marktübertreibungen nach Quartalszahlen oder Neubewertungen nach Indexaufnahmen oder Gerichtsentscheiden gehören dazu. Die Liste der Möglichkeiten ist endlos - und so vielfältig wie der tägliche Börsen-Newsflow. Dass er Sondersituationen kann, hat der Trader längst bewiesen.
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Im Interview sprechen wir mit Scheid über so ziemlich alles, was die Märkte aktuell bewegt: KI, Gold, den Bitcoin, und und und. Wer sich Zeit für die Lektüre nimmt, wird es höchstwahrscheinlich nicht bereuen!
Christian, der ChatGPT-Erfinder OpenAI hat kürzlich seine KI-Video-App SORA 2 vorgestellt. Die KI macht Videos aus Text. Neu ist, dass man sich selbst und andere in diese Clips hineinprompten kann. Und die Videos dann auf einem Online-Netzwerk, ganz im Stile von TikTok, teilt. Das Internet ist begeistert. Sind wir es auch?
Christian Scheid: Technologisch ist das beeindruckend, keine Frage. Aber die Begeisterung überdeckt schnell die Risiken. Wir betreten eine neue Stufe digitaler Simulation – wo Grenzen zwischen Realität und Fiktion endgültig verschwimmen. Mit SORA 2 wird die Selbstinszenierung perfektioniert, das eröffnet kreative Welten, aber auch manipulative Abgründe. Ich sehe die Faszination, aber auch die gesellschaftliche Sprengkraft. Je realistischer KI-Videos werden, desto wichtiger wird Medienkompetenz. Sonst verlernen wir, zwischen echt und künstlich zu unterscheiden – und das ist gefährlicher als jede Marktvolatilität.
In den vergangenen Wochen haben Tech-Unternehmen wie OpenAI, Nvidia oder AMD die Märkte mit Nachrichten zu gigantischen Investitionen in KI-Infrastruktur regelrecht geflutet. Das hat die Aktien massiv in die Höhe getrieben. Werden hier Luftschlösser gebaut oder ist das bloß der nächste logische Schritt in einer laufenden industriellen Revolution?
Wir erleben beides gleichzeitig: eine technologische Revolution – und eine klassische Spekulationsblase. Die KI wird unsere Wirtschaft fundamental verändern, daran besteht kein Zweifel. Aber die Börse hat diese Zukunft längst eingepreist. Bewertungen laufen der Realität weit voraus, Margen- und Nachfrageerwartungen sind zum Teil absurd. Es ist, als wolle der Markt die Industrialisierung der KI in ein Quartal pressen. Langfristig entstehen hier neue Industrien, kurzfristig sehe ich jedoch eine gefährliche Überhitzung, ähnlich wie bei der Dotcom-Blase um 2000. Die Revolution bleibt – die Bewertungen nicht zwingend.
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Wenn ein Unternehmen mit 500 Milliarden Dollar bewertet wird, muss irgendwann ein Geschäftsmodell sichtbar werden. Bei OpenAI sehe ich mehr Konzept als Cashflow.
Sam Altman, CEO des nunmehr mit 500 Milliarden Dollar bewerteten ChatGPT-Erfinders OpenAI, soll gesagt haben: „Profitability isn’t even in my top 10 priorities.“ Sollten da nicht alle Alarmglocken schrillen?
Definitiv. Altman hat eine Vision, aber Vision ohne finanzielle Bodenhaftung kann kippen. Seine Aussage ist sinnbildlich für die Euphorie in der Branche: Wachstum um jeden Preis. Ich verstehe den langfristigen Ansatz – OpenAI will ein Betriebssystem für die KI-Ära schaffen, kein kurzfristig profitables Softwarehaus. Trotzdem: Wenn ein Unternehmen mit 500 Milliarden Dollar bewertet wird, muss irgendwann ein Geschäftsmodell sichtbar werden. Amazon konnte sich in der Aufbauphase Verluste leisten, weil das Modell funktionierte. Bei OpenAI sehe ich bislang mehr Konzept als Cashflow.
Einige Branchenkenner kritisieren die „Round-Trip-Finanzierung“ innerhalb der KI-Branche. Was sagst du? Normales Geschäftsgebaren oder gefährliche Finanzakrobatik?
Diese Deals sind das Symptom einer Blase. Nvidia investiert in OpenAI, OpenAI kauft Nvidias Chips – hier wird Umsatz durch „interne“ Deals aufgebläht. Das wirkt wie Wirtschaftswachstum, ist aber bilanzielles Kreislaufen. Solche Modelle kaschieren Risiken und verschieben sie in die Zukunft. Solange Geld billig war, funktionierte das – jetzt wird es gefährlich. Wenn die Nachfrage nach GPUs sinkt oder Margen einbrechen, bleibt am Ende eine Kostenlawine ohne Gegenwert. Das erinnert mich an die Telekombau-Booms von 1999, als Kapazität auf Vorrat geschaffen wurde – bis die Nachfrage nicht kam.
Wenn OpenAI also morgen an die Börse gehen würde, würdest du Aktien kaufen?
Das kommt darauf an, in welcher Rolle. Als Trader ganz klar: ja. Eine Aktie wie OpenAI wäre ein Momentum-Titel par excellence – starke Story, hohe Liquidität, maximale Aufmerksamkeit. In meinem wikifolio verfolge ich Momentum-Strategien, und da geht es nicht darum, ob ein Unternehmen schon profitabel ist, sondern ob Kapitalströme es kurzfristig treiben. Aus dieser Sicht wäre OpenAI hochinteressant. Als Investor sehe ich das anders. Die Bewertung ist überzogen, Transparenz gering, Risiken hoch. Für ein langfristiges Engagement fehlt mir derzeit die Substanz. Ich würde dann lieber indirekt investieren – über Zulieferer, Chip-Produzenten oder Cloud-Infrastruktur. OpenAI ist heute ein Symbol für den KI-Hype, faszinierend, aber fundamental schwer zu greifen.
Wie schätzt du die Aussichten für die anderen KI-Highflyer wie Nvidia ein und welche Titel sind deine Favoriten?
bleibt das Herzstück des KI-Ökosystems – aber die Euphorie ist übergeschwappt. Das Unternehmen verdient blendend, doch die Bewertung spiegelt bereits Fantasie jenseits jeder Realität wider. Ähnlich bei oder . Ich sehe das größere Potenzial inzwischen bei . Der Konzern hat mit seiner massiven Datenbasis, eigener Chipentwicklung (TPUs) und dominierender Plattformökonomie strukturelle Vorteile, die noch gar nicht voll eingepreist sind. Alphabet verdient real Geld mit KI, statt nur davon zu träumen. Darüber hinaus halte ich auch und für interessant – beide profitieren von der Industrialisierung der KI, also von deren realer Umsetzung, nicht von Visionen allein.
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Gold ist für mich weit mehr als eine Krisenversicherung – es ist das ehrlichste Asset dieser Zeit. (...) Noch spannender sind Minenaktien – sie könnten in den kommenden Jahren sogar den KI-Hype übertreffen.
Abseits des KI-Hypes sehen wir aktuell noch einen anderen Hype: Der Goldpreis ist rasant gestiegen – zuletzt war eine Feinunze über 4.200 Dollar wert. Gold-Exposure findet man in deinem wikifolio aber nicht. Warum nicht?
Gold ist für mich weit mehr als eine Krisenversicherung – es ist das ehrlichste Asset dieser Zeit. Die Notenbanken haben die Geldordnung überdehnt, Schulden explodieren, Staaten leben über ihre Verhältnisse. Irgendwann kippt das Vertrauen in Geld, das nur noch per Knopfdruck erzeugt wird. In so einem Umfeld ist Gold kein Angstinvestment, sondern ein rationaler Gegenpol zum Papiergeldsystem – ein realer Wert in einer zunehmend virtuellen Welt. Ich rechne mit deutlich höheren Kursen, weil das System selbst die Hausse befeuert: Schulden, Inflation, geopolitische Spannungen. Noch spannender finde ich die Minenaktien – sie sind massiv unterbewertet und könnten in den kommenden Jahren sogar den KI-Hype übertreffen. In meinem wikifolio ist Gold derzeit nur gering vertreten, weil ich es eher als langfristiges Investment sehe – weniger zum Traden geeignet. Das ist aber nur eine Momentaufnahme. Wenn sich die fundamentale Neubewertung realer Werte weiter fortsetzt, werde ich Gold vor allem über Minenaktien stärker spielen.
Du sprichst es an: Reale Werte steigen. Nicht nur Gold, auch Aktien. Der Dax liegt 2025 fast 22 % im Plus, der Nasdaq 100 immerhin 16 % und der S&P 500 rund 13 %. Dabei hat das statistisch stärkste Börsenquartal gerade erst angefangen. Ist noch Platz für eine Jahresendrally?
Ja, etwas. Aber man darf nicht vergessen: Viele Indizes sind durch wenige Schwergewichte verzerrt. Die Breite des Marktes hinkt hinterher. Trotzdem spricht die Statistik für ein freundliches Schlussquartal. Denn in guten Aktienjahren packen am Ende meist diejenigen Aktien noch eins drauf, die schon das ganze Jahr gut gelaufen sind – Stichwort „Window Dressing“. Liquidität ist vorhanden, die Stimmung besser als die Schlagzeilen vermuten lassen. Ich rechne mit einer moderaten Fortsetzung der Aufwärtsbewegung, eine explosive Rally wird’s aber eher nicht.
Auch der Bitcoin könnte jüngst auf ein Allzeithoch steigen. Wie stehst du aktuell zu Kryptowährungen und ihrem Potenzial?
Bitcoin profitiert derzeit vom Misstrauen gegenüber Staaten, Schulden und Währungen. Das ist nachvollziehbar – aber ist es nachhaltig? Die Rally ist getrieben von Spekulation, ETF-Zuflüssen und FOMO („Fear Of Missing Out“; der Angst, die Rally zu verpassen, Anm.), weniger von realer Nutzung. Gleichwohl muss man anerkennen: Bitcoin hat sich – gegen viele Widerstände – eine Rolle als Wertaufbewahrungsmittel erarbeitet. Er ist kein Zahlungsmittel, aber zunehmend ein digitales Pendant zu Gold. Das Vertrauen entsteht nicht aus staatlicher Garantie, sondern aus Knappheit und Akzeptanz. Diese Funktion hat sich etabliert – und das muss man respektieren. Trotzdem bleibe ich vorsichtig: Die Rally ist stark spekulativ, getrieben von ETF-Zuflüssen, Liquidität und Narrativen. Als Wertspeicher kann Bitcoin langfristig Bestand haben, als Investment bleibt er hochriskant. In einem Portfolio kann er daher allenfalls eine kleine Beimischung sein – und nur mit dem Bewusstsein: Das kann sich jederzeit halbieren, ohne dass sich etwas „Fundamentales“ ändert.
Die an sich gute Börsenstimmung wird aktuell wieder vom Zoll-Streit zwischen den USA und China überschattet. US-Präsident Donald Trump hatte – mit Verweis auf die chinesischen Exportbeschränkungen für Seltene Erden – Zölle in Höhe von 100 % auf chinesische Waren angedroht. Kann das eine Jahresendrally verhindern?
Kurzfristig kann das die Stimmung bremsen, vor allem über Unsicherheit im Exportsektor. Aber wir haben das Spiel schon oft gesehen: Erst Drohung, dann Kompromiss. Die Märkte haben gelernt, damit umzugehen. Solange kein echter Zollschock droht, bleibt das eine Begleitmusik. Ich sehe eher punktuelle Korrekturen als Trendbruch. Wer auf Panik wartet, verpasst die Gelegenheiten, die sich in der Unruhe ergeben.
Bislang hat Trump immer wieder zurückgerudert. Warum wird er es auch dieses Mal nicht auf die Spitze treiben?
Weil er weiß, dass die Börse seine Wählerstimmung misst. Ein Absturz wäre politisch Gift. Deshalb kalkuliert er die Eskalation genau – laut in der Rhetorik, leise in der Umsetzung. Der Markt hat das durchschaut. Das erklärt, warum die Volatilität steigt, aber der Trend intakt bleibt. Trump nutzt die Börse als Bühne, nicht als Waffe.
Mehr oder weniger böse Zungen behaupten, Trump würde die Märkte manipulieren, damit Familie und Freunde profitieren...
Ganz ehrlich: Das ist kein Hirngespinst, sondern Realität. Natürlich sind Insider aus dem Trump-Umfeld an den Märkten aktiv – und selbstverständlich profitieren manche von politischen Wendungen, bevor sie offiziell werden. Das hat System, nicht Zufall. Politik und Kapital waren in den USA nie wirklich getrennt, unter Trump ist diese Symbiose nur sichtbarer geworden. Trotzdem: Die Börse ist größer als jeder Clan. Solche Manöver können Kurse kurzfristig bewegen, aber sie verändern keine fundamentalen Trends. Für Trader sind sie Teil des Spiels – wer die Mechanismen kennt, kann daraus sogar Chancen ableiten.
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Das Problem ist nicht die Regulierung, sondern die Realität. Der Weltmarkt hat sich längst entschieden. (...) Selbst wenn das Verbrenner-Aus fällt, kauft kein junger Mensch 2035 mehr Diesel.
Während in den USA die KI-Revolution stattfindet, versucht die Politik in Deutschland die Autobauer vor dem Verbrenner-Aus zu retten. Kann das Aus vom Verbrenner-Aus die Branche retten?
Kaum. Das Problem ist nicht die Regulierung, sondern die Realität. Während Politik und Industrie über Fristen streiten, hat sich der Weltmarkt längst entschieden. China dominiert bei E-Mobilität, Software und Batterien. Selbst wenn das Verbrenner-Aus fällt, kauft kein junger Mensch 2035 mehr Diesel. Die deutsche Autoindustrie braucht weniger Lobbyismus und mehr Innovation. Marken wie oder haben die Ressourcen, aber sie müssen sich vom alten Denken lösen – sonst fährt die Konkurrenz ihnen digital davon.
Crash-Propheten haben mal wieder Hochkonjunktur. Sie warnen vor dem Kollaps der Fiat-Währungen, dem Untergang der deutschen Industrie, dem Ende der Eurozone uvm. Warum brechen die Börsen eigentlich nicht in einer kollektiven Panikattacke zusammen?
Weil Angst kein Anlagekonzept ist. Die Märkte sehen, dass die Welt trotz Krisen weiter investiert, produziert und konsumiert. Wir stehen in einem gewaltigen Umbruch: Energie, Rüstung, KI, Demografie. Das erzeugt Unsicherheit – aber eben auch Investitionswellen. Viele Crash-Propheten übersehen, dass Kapitalflüsse globaler und anpassungsfähiger geworden sind. Die Börse hasst Stillstand, nicht Wandel. Solange es Innovation gibt, wird sie Wege finden, Wachstum zu bepreisen.
Zu guter Letzt eine praktische Frage: Kann ich als klassischer MSCI World ETF-Anleger eigentlich noch ruhig schlafen?
Ja, aber mit wachem Blick. Der MSCI World bleibt die einfachste Form globaler Diversifikation. Wer langfristig denkt, fährt damit gut. Trotzdem lohnt es sich, Nuancen einzubauen – zum Beispiel ein kleiner Anteil an Emerging Markets, Infrastruktur, Rohstoffen und Nebenwerten. Der ETF ist ein solides Fundament, aber kein Allheilmittel. Entscheidend ist, Ruhe zu bewahren, wenn der Markt schwankt – und nicht zu glauben, man müsse jeden Hype mitreiten.
Noch ein Gedanke zum Jahresende...?
Wir leben in einer bewegten Zeit. Technologie, Geldsystem, Geopolitik – alles wird neu sortiert. Anleger brauchen keine Angst, sondern Struktur: Diversifikation, Liquidität, ein klarer Plan. 2025 war ein Jahr der Extreme – 2026 dürfte ein Jahr der Realität werden. Die Kunst besteht darin, die Blasen zu erkennen, ohne den Aufbruch zu verpassen.
Christian, vielen Dank für das Gespräch.
Disclaimer: Jedes Investment in Wertpapiere und andere Anlageformen ist mit diversen Risiken behaftet. Es wird ausdrücklich auf die Risikofaktoren in den prospektrechtlichen Dokumenten der Lang & Schwarz Aktiengesellschaft (Endgültige Bedingungen, Basisprospekt nebst Nachträgen bzw. den Vereinfachten Prospekten) auf www.wikifolio.com, www.ls-tc.de und www.ls-d.ch hingewiesen. Sie sollten den Prospekt lesen, bevor Sie eine Anlageentscheidung treffen, um die potenziellen Risiken und Chancen der Entscheidung, in die Wertpapiere zu investieren, vollends zu verstehen. Die Billigung des Prospekts von der zuständigen Behörde ist nicht als Befürwortung der angebotenen oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapiere zu verstehen. Die Performance der wikifolios sowie der jeweiligen wikifolio-Zertifikate bezieht sich auf eine vergangene Wertentwicklung. Von dieser kann nicht auf die künftige Wertentwicklung geschlossen werden. Der Inhalt dieser Seite stellt keine Anlageberatung und auch keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.