Der Kontext
Bevor’s heute Abend nach US-Börsenschluss so weit ist, haben die Aktienmärkte (aber nicht nur die, sondern zum Beispiel auch die Kryptos) den Weg gen Süden eingeschlagen. Der Dax schloss gestern mit einem Minus von 1,7 % und wirkt angeschlagen, zumindest charttechnisch. Auch der Nasdaq 100 verlor weiter (-1,2 %). Big Tech und die sogenannten Hyperscaler (Cloud-Computing-Firmen mit besonders viel Rechenkapazität aka , , , und ) zählten zu den Underperformern. Ebenso der „Schaufellieferant“ . Seit dem Hoch Ende Oktober hat der Nasdaq 100 fast 6 % abgegeben und Nvidia fast 10 %. Warum aber tun sich die Börsen aktuell so schwer, wo doch die saisonal starke Phase und die Jahresendrally anstehen sollte? Ist die KI-Party jetzt etwa doch vorbei?
Die Risiken
Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, aber Ursachen für die Zurückhaltung der Anleger gibt es einige.
- Zunächst einmal ist aktuell unsicher, ob die Fed im Dezember erneut die Zinsen senken wird. Einige US-Notenbanker gaben sich vor dem Hintergrund der Preis- und Wirtschaftsentwicklung zurückhaltend. Die Märkte sehen nun nur noch eine 50:50-Chance für eine Zinssenkung. Vor ein paar Wochen galt sie noch als sicher. Das belastet vor allem Wachstumswerte und insbesondere Tech-Aktien, die aktuell Unsummen in Rechenzentren investieren. Was diesbezüglich nicht hilfreich ist: Diese Investitionen werden selbst von Big Tech zunehmend schuldenfinanziert. Seit September haben sie laut der Nachrichtenagentur Bloomberg gut 90 Milliarden Dollar an Schulden für KI-Investitionen aufgenommen.
- AI-Capex out of this world? Die 5 Hyperscaler werden alleine 2025 auf rund 400 Milliarden Dollar an Investitionsausgaben kommen – das sind 50 % mehr als 2024. Die jährliche Capex-Summe dürfte weiter auf 600 bis 700 Milliarden Dollar zwischen 2027 und 2029 steigen. Insgesamt stecken die Top 5 laut Bloomberg bis 2029 fast 3 Billionen Dollar in KI. Klingt viel? Ist es auch. Oder wie der renommierte US-Tech-Journalist Derek Thompson kommentierte: „That is more than any group of firms has ever spent to do just about anything. The Apollo program allocated about 300 billion in inflation-adjusted dollars to get America to the moon between the early 1960s and the early 1970s. The AI buildout requires companies to collectively fund a new Apollo program, not every 10 years, but every 10 months.“ Mittlerweile glaubt laut einer aktuellen Bank of America-Umfrage auch die Mehrheit der Fondsmanager, dass die Investitionen in KI überzogen sind.
- Wegen dem Investitionsrausch geht’s dem für Aktionäre so wichtigen Free Cashflow (FCF) an den Kragen. Das ist jener Betrag, der nach Finanzierung des operativen Geschäfts und der Investitionen übrigbleibt und somit dem Unternehmen (bzw. den Aktionären) zur freien Verfügung steht. Grundsätzlich erwirtschaften alle außer Oracle einen positiven Free Cashflow. Bei Amazon und Meta wird er seit Ende 2024/Anfang 2025 kleiner. Laut Lisa Shalett, Chief Investment Officer bei Morgan Stanley Wealth Management, könnte der Free Cashflow der Hyperscaler Schätzungen zufolge in den nächsten 12 Monaten um 16 % schrumpfen. Wenn der FCF schrumpft, werden laut Shalett die Unternehmensbewertungen in Frage gestellt und die Investoren daher vorsichtiger.
- Fragwürdige Deals und Kreislauffinanzierungen: Die KI-Player befruchten ihr Geschäft und ihre Aktien seit Monaten mit milliardenschweren Deals selbst. Neuester Coup: Nvidia und Microsoft investieren je bis zu 10 bzw. bis zu fünf Milliarden Dollar in den OpenAI-Rivalen Anthropic, an dem auch Alphabet und Amazon beteiligt sind. Anthropic verpflichtet sich außerdem, Rechenleistung aus Microsofts Computer-Cloud im Wert von 30 Milliarden Dollar zu beziehen und wird auch in großem Stil KI-Chipsysteme bei Nvidia kaufen. Mittlerweile fällt es schwer, den Überblick zu behalten, wer im KI-Universum mit wem und vor allem wie „verbandelt“ ist. Morgan Stanley hat sich an einer grafischen Darstellung versucht, die die Komplexität gut veranschaulicht und dabei nicht einmal vollständig ist (so kommen zum Beispiel Amazon und Alphabet in der Grafik gar nicht vor).
Die Grafik zeigt, wie KI-Firmen schon jetzt miteinander verwoben sind. Und sie ist nicht einmal vollständig. So hat zum Beispiel OpenAI Deals mit Nvidia und AMD, die Nvidia defacto zum Miteigentümer des größten Konkurrenten machen. Außerdem finanziert Nvidia durch die Investition in OpenAI den hauseigenen Umsatz, da OpenAI sich verpflichtet hat, Chips von Nvidia zu kaufen. Und wenn die Rechenleistung nicht gebraucht wird? Dann nimmt sie Nvidia einfach wieder zurück. Das hilft, wenn man die eigenen Chips zu besonders hohen Margen verkaufen will. Das Risiko bleibt, es wird nur in die Zukunft verschoben.
- Morgan Stanley-Expertin Lisa Shalett bringt die Problematik in einer Analyse auf den Punkt: „It is totally circular and increases systemic risk.“ Zu Deutsch: Durch die massiven Verflechtungen erhöht sich das Risiko für alle beteiligten Unternehmen, wenn eines strauchelt. Bisher sind solche Systemrisiken vor allem im Zuge der Finanzkrise 2008 offenbar geworden, als die Pleite von Lehman Brothers branchenweit massive Schieflagen verursachte und zu einer Reihe von beispiellosen staatlichen Unterstützungen und Eingriffen der Notenbanken führte. Apropos staatliche Unterstützung: Für Aufsehen sorgten zuletzt auch Aussagen von OpenAI-CFO Sarah Friar im Zuge der „WSJ Tech Live“-Konferenz, wonach sich OpenAI auch über staatliche Garantien freuen würde, um die KI-Investitionen zu finanzieren. Eine staatliche Garantie würde die Finanzierungskosten für OpenAI senken. Und wenn’s schief geht? Dann müsste der Steuerzahler einspringen. Mit der Bitte um Verständnis: Das KI-Rennen gegen China will schließlich gewonnen werden. OpenAI-CEO Sam Altman war bemüht, die Wogen zu glätten und winkte auf „X“ in einem längeren Statement ab: „If we screw up and can’t fix it, we should fail, and other companies will continue on doing good work and servicing customers.“ Der fahle Beigeschmack bleibt.
- Zu guter Letzt sorgte der Ausstieg zweier Großinvestoren aus Nvidia für Sorgenfalten an den Aktienmärkten. Die japanische SoftBank und der Tech-Investor Peter Thiel haben ihre Nvidia-Aktienpakete verkauft. Während einige Marktbeobachter argumentieren, Nvidia sei mittlerweile schlicht zu groß geworden und passe nicht mehr zur Investmentstrategie der Startup-Investoren, stellt der Exit der beiden für andere Kommentatoren durchaus die Attraktivität der Nvidia-Aktie infrage. Christoph Gum , wikifolio-Trader und AI-Experte bei Private Alpha Switzerland, und Stefan Waldhauser , ehemaliger Tech-Unternehmer, Vollzeit-Tech-Investor und wikifolio-Trader, vertreten Meinungen, die diametral verschiedener nicht sein könnten. Dazu gleich mehr.
Die Chancen
Zuvor zurück zu den KI-Aussichten und Nvidia. Auch wenn die Risiken zunehmen und die Zweifel ebenso, die KI-Investitionsoffensive könnte sich am Ende des Tages (noch bevor die Investoren die Geduld verlieren) auch auszahlen. Bei Morgan Stanley hält man deutliche Effekte bereits ab 2028 für möglich. Laut Analyst Stephen Byrd könnten AI-Anwendungen den S&P 500-Unternehmen annualisiert etwa 920 Milliarden Dollar bringen (in Form von Kosteneinsparungen oder Effizienzsteigerungen). Das ist nicht nichts: Laut Bloomberg erwirtschafteten die S&P 500-Unternehmen in den letzten 12 Monaten (trailing twelve month) einen kombinierten Vorsteuergewinn von 2,5 Billionen Dollar.
Wenn es so weit ist, könnten die Nvidia-Quartalszahlen an Bedeutung verlieren. Vorerst aber hängt der Markt wohl weiter an den Lippen von Nvidia-CEO Jensen Huang. Und sei es nur zur Orientierung. Die Analysten erwarten für heute Abend einmal mehr starke Zahlen. Laut Bloomberg dürfte der Umsatz im Jahresvergleich um beeindruckende 57 % auf 54,9 Milliarden Dollar steigen, angetrieben vom boomenden Rechenzentrumsgeschäft (Überraschung!), das allein rund 49 Milliarden Dollar beisteuern soll. Auch der Nettogewinn wird mit 29,4 Milliarden Dollar rund 52 % höher erwartet. Wie endet die Geschichte? Christoph Gum, der das wikifolio Alpha AI Leaders führt, ist KI-Bulle. Stefan Waldhauser, der für das wikifolio High-Tech Stock Picking verantwortlich ist, ist eher ein Bär, gelinde gesagt. Hier kommt die Einschätzung der beiden:
Christoph Gum, der Bulle
Zu den Nvidia-Zahlen: „Operativ erwarten wir bei Nvidia erneut exzellente Zahlen. Alles, was wir an Datenpunkten sehen – Cloud-Kapazitätsaufbau, Nachfrage nach H100/GH200, Orderbücher, Lieferzeiten – deutet auf ein extrem starkes Quartal hin. Noch wichtiger: Der Ausblick dürfte genauso stark bleiben. Die Pipeline für Rechenzentren, AI-Fabriken und modellgetriebene Workloads wächst derzeit schneller als Angebot aufgebaut werden kann. Darum halten wir im wikifolio unsere Nvidia-Position stabil.“
Zum Nvidia-Ausstieg der Softbank und Peter Thiels: „Die Verkäufe von SoftBank und Peter Thiel sind kein Signal gegen Nvidia – sondern Teil ihres Investmentstils. Beide gehören traditionell zu den größten Frühphasen-Investoren der Welt. Sie investieren bevorzugt in junge, hochskalierbare Unternehmen, um dort die nächste Wachstumsstufe zu finanzieren. Reife Tech-Giganten – selbst wenn sie operativ glänzen wie Nvidia – erfüllen dieses Profil nicht mehr. SoftBank hat den Fokus klar auf neue KI-Plattformen wie OpenAI verschoben. Peter Thiel ist ebenfalls bekannt dafür, nach starken Kursanstiegen Kapital freizusetzen, um wieder in Early-Stage-Innovationen zu investieren.“
Zur Börsen-Korrektur seit Ende Oktober: „Die aktuelle Korrektur hat primär makroökonomische Gründe – nicht fundamentale. In den letzten zwei Wochen gab es eine klare Reaktion auf die FED-Kommunikation, die Zinssenkungen weiter hinauszögert und auf erste Abkühlungssignale im US-Arbeitsmarkt, was Risk-Off-Impulse ausgelöst hat. Historisch kommt es nach großen Rallyes häufig zu Bewertungsnormalisierungen. Genau diese sehen wir jetzt auch.“
Zu den allgemeinen KI-Aussichten: „Der KI-Superzyklus bleibt voll intakt. Wir erleben gleichzeitig: eine explodierende Userbasis für AI-Applikationen und eine neue Welle von Enterprise-Implementierungen. Das spricht langfristig klar für Nvidia.“
„Die Bewertung bleibt ein Risikofaktor – und wir handeln aktiv. Extrem hoch bewertete Titel wie Palantir stehen jetzt auf dem Prüfstand. Wir haben bereits vor zehn Tagen begonnen, überzogene Bewertungen konsequent abzubauen. Mit unserem aktuellen Cash-Level von rund 25 % fühlen wir uns sehr wohl – wir können sowohl Chancen nutzen als auch Risiken sauber steuern.“
Stefan Waldhauser, der Bär
Zu den Nvidia-Zahlen: „Auch ich erwarte morgen wieder grandiose Quartalszahlen von Nvidia, aber es wird darauf ankommen, ob sie das rosige Bild für die Zukunft weiter aufrechterhalten können. Ich würde es nicht ausschließen, aber es wird von Quartal zu Quartal immer schwieriger alleine wegen des Gesetzes der großen Zahlen.“
Zum Nvidia-Ausstieg der Softbank und Peter Thiels: „Es ist doch kein Wunder, dass Smart Money wie Peter Thiel jetzt aussteigen. Die wissen doch ganz genau, dass Nvidia keine recurring revenues (wiederkehrende Umsätze wie etwa aus einem Abo-Modell, Anm.) macht, sondern in einer extrem zyklischen Industrie gerade eine Sonderkonjunktur erlebt. Das verdrängen die auf den nächsten Gewinn je Aktie fokussierten Kleinanleger doch völlig. Und dann kommt das große Erwachen.“
Zu den allgemeinen KI-Aussichten: „Der Kern meiner Bären-These: AGI (Artificial General Intelligence, Anm.) ist nicht durch die Skalierung von LLMs (Large Language Models wie ChatGPT, Anm.) zu erreichen, dazu braucht es völlig neue Forschungsansätze, von denen wir weit entfernt sind. Daher wird die GenAI-Infrastrukturbubble platzen. Wann es soweit ist? Who knows…“
„Zuerst werden die Neoclouds wie und zusammenbrechen, weil sie keine Finanzierung mehr bekommen. Oder sie werden von Nvidia in einem Fire Sale übernommen. Danach wird es spannend, was mit OpenAI passiert. Ich denke, auch die werden ihre Unabhängigkeit verlieren oder sogar pleitegehen.“
„Nach wie vor ist nicht klar, wie auf der Applikationsseite die Unsummen wieder verdient werden sollen, die jetzt für die GenAI-Infrastruktur ausgegeben werden.“
Fazit
Während die Branchenrisiken im KI-Universum zunehmen und die Investoren langsam die Geduld verlieren, wird vermutlich schon morgen klar sein, ob die Jahresendrally nochmal durchstartet oder ihr endgültig der Hahn abgedreht wird. Was es wird? Das Update zu den Nvidia-Zahlen gibt’s morgen Vormittag genau an dieser Stelle...
"AI is going everywhere, doing everything, all at once"
Die Nvidia-Aktie legte nach US-Börsenschluss 5,53 % zu - und zog die Branche allgemein ein Stück weit mit sich. Warum? CEO Jensen Huang konnte die Zweifler mal wieder beruhigen. Umsatz, Gewinn und Ausblick fielen besser als erwartet aus. Der Umsatz beim Chipgiganten kletterte im Quartal (FQ3 2026)um 62 % im Vergleich zum Vorjahr auf 57 Milliarden Dollar. Mehr als von Analysten erwartet. Das Plus im Datenzentren-Segment belief sich sogar auf 66 % und kam bei 51 Milliarden Dollar zu liegen. Mehr als erwartet. Die Bruttomarge (GAAP bzw. Non-GAAP) beträgt 73,4 bzw. 73,6 %. Der Gewinn je Aktie beläuft sich im Q3 auf 1,3 Dollar (erwartet wurden 1,26 Dollar). Im Vorjahresquartal lag der Gewinn je Aktie bei 0,81 Dollar. Für das 4. Geschäftsquartal erwartet Nvidia einen Umsatz von 65 Milliarden Dollar - ebenfalls mehr als erwartet (Analysten rechneten mit 62 Milliarden Dollar). "Blackwell sales are off the charts, and cloud GPUs are sold out", so Huang. Das KI-Ökosystem skaliere schnell, mit mehr Startups, in mehr Industrien und mehr Ländern. Huang: "AI is going everywhere, doing everything, all at once." Warum nur habe ich diesen Text nicht von einer KI schreiben lassen?
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