Kalter Schauer
Wir Menschen sind nicht immer rational – und schon gar nicht handeln wir immer so. Auch wenn viele Fußball-Fans die „Schmach von Kazan“ am liebsten vergessen würden, so zeigen der Turnierverlauf und das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft doch geradezu beispielhaft, wie sich eine Abwärtsspirale aufbaut und wie sich Stimmungen verstärken. Mit einem Schlag sind die positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre vergessen und natürlich haben alle bereits im Vorfeld gewusst, dass es diesmal schiefgeht. Rational ist das zwar nicht, aber derartige emotionale Wechselbäder gehören nun einmal zum Fußball wie die Spieler und der Videobeweis.
Vom Nutzen der Gefühle
An der Börse lassen sich ganz ähnliche Verhaltensmuster beobachten. Allerdings kann es hier schnell teuer werden, falls man seinen Emotionen freien Lauf lässt. Es war die „Behavioral Finance“, die uns die Augen für Phänomene wie das „Herding“ öffnete, und uns damit nicht nur vor dem Gruppendenken warnte. Stattdessen zeigt sie uns auch Wege, wie man von den Emotionen der anderen profitiert. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Denn egal, ob Kommentator oder Börsianer, es kostet Überwindung, sich von der Gruppe zu lösen – besonders emotional. Eine Methode kann in der Verwendung mechanischer Hilfsmittel wie Stopp-Loss-Marken oder Kennzahlen bestehen, mit denen die emotionale Komponente von Anlageentscheidungen zurückgedrängt wird. Diese Hilfsmittel müssen dann allerdings auch konsequent angewendet werden.
„Lucky Buys“ im Visier
Einer, der die Irrationalität der Börse gut im Griff hat, ist Ingo Reeps („Checkitout“). Mit seinem wikifolio „Special Investments 1“ spürt er jene Unternehmen auf, die im Rahmen einer Baisse oder starken Korrektur unter ihrem Substanzwert gehandelt werden. Im Idealfall findet er dabei einen „Lucky Buy“, also ein Unternehmen, dessen Kurs sogar unter dem Netto-Cash notiert. In diesem Fall bekäme er das Unternehmen quasi „umsonst“. Daneben sucht Reeps nach Turnaround-Kandidaten, nach niedrig bewerteten Wachstumstiteln, nach Unternehmen, die eine Neuausrichtung durchlaufen und nach klassischen Value-Kandidaten gemäß der Philosophie von Warren Buffett.
Beim Timing setzt der bereits als „Guter Money Manager“ ausgezeichnete Reeps auch auf die verhaltenspsychologischen Erkenntnisse der eingangs erwähnten „Behavioral Finance“. Obwohl grundsätzlich eine Diversifikation über fünf bis 20 Titel angestrebt wird, können zeitweilig auch bis zur Hälfte der Mittel in einen einzigen „Lucky Buy“ angelegt werden. Seit der Auflage im Herbst 2014 erreicht das wikifolio „Special Investments 1“ eine Performance von über 130%. Auch in den letzten zwölf Monaten ging es – trotz eines per Saldo leicht rückläufigen Marktes – um rund 12% nach oben. Aktuell agiert Reeps allerdings zurückhaltend: Seine Cash-Quote liegt bei über 50%.
Emotionale Achillesferse
Das wikifolio „Fundamental Quantitativ“ von Thomas Kolwitz („Klassenbester“) nutzt die emotionale Achillesferse anderer Anleger, indem konsequent auf harte Fundamentaldaten gesetzt wird. Gefiltert wird das Anlageuniversum, der Schwerpunkt liegt auf deutschen Nebenwerten, nach klar definierten Kriterien: Dazu zählen kontinuierlich steigende Gewinne, finanzielle Stabilität und eine überdurchschnittliche Ertragskraft. Eine hohe Marge kann zudem ein Hinweis auf einen Wettbewerbsvorteil oder auf besonders innovative Produkte sein. Da sich Kolwitz an rein quantitativen Kennzahlen orientiert, umgeht er weit verbreitete Anlagefehler, etwa den einer zu starken Identifikation mit den Aktien „seines“ Unternehmens.
Für die Bestimmung der Ein- und Ausstiegszeitpunkte benutzt Kolwitz zusätzlich die Charttechnik. Bislang bestätigt die Entwicklung des wikifolios seine Strategie. In nicht einmal zwei Jahren gelang es ihm, ein Plus von über 66% zu erwirtschaften. Betrachtet man nur die letzten zwölf Monate, liegt der Zugewinn immer noch bei sehr erfreulichen 18%. Auch deshalb wurde Kolwitz als „Guter Money Manager“ ausgezeichnet.
Gegen die Strömung
Während der letzten Jahre waren Trendfolgestrategien besonders erfolgreich. In einem Markt aber, der wie zuletzt keine klare Richtung erkennen lässt, liefern solche Ansätze immer öfter Fehlsignale. Johannes Schildgen („Yoshi“) mit seinem wikifolio „Antizyklisch und Diversifiziert“ ganz bewusst gegen den Strom. Das erfordert Ausdauer und Geduld, denn antizyklisches Handeln wird manchmal erst nach einer gewissen Durststrecke belohnt. Seit Auflegung des wikifolios im Jahr 2013 verbuchte Schildgen einen Wertzuwachs von rund 71%. Während Trendfolger bei fallenden Kursen den Ausstieg suchen, steht Schildgen bei Kursrücksetzern auf der Käuferseite.
Gewinne nimmt er dagegen in Stufen mit. So kann er Erfolge teilweise sichern, ohne sich der Chance auf weitere Gewinne zu berauben. Ein weiteres Merkmal seines wikifolios ist dessen breite Streuung. Aktuell finden sich dort über 70 Einzelwerte. Schildgen vertraut vor allem Large Caps wie Alphabet, Apple, P&G, Vonovia und Barrick Gold, wobei er das Prinzip der Diversifikation auch auf Branchen anwendet. Der Cash-Anteil lag zuletzt bei knapp einem Fünftel. Sogar ein überzeugter Antizykliker wie Schildgen hält sich also im aktuellen Umfeld etwas Pulver trocken.
Was kommt?
Das sollten Anleger im Auge behalten
An der Terminfront ist es weiter relativ ruhig. Vermutlich wird die Fußball-WM in den kommenden Tagen das Spannendste bleiben – vorausgesetzt US-Präsident Trump überrascht nicht mit einem weiteren Tweet, oder die deutsche Regierungskrise eskaliert nicht erneut.
Einen Hinweis auf die konjunkturelle Lage der Eurozone wird der am Montag veröffentlichte Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe liefern. Am Mittwoch folgen dann die entsprechenden Zahlen für den Dienstleistungssektor. In den USA richten sich die Blicke auf den großen Arbeitsmarktbericht am kommenden Freitag, der insbesondere im Hinblick auf das Tempo weiterer Zinsschritte interessant ist.
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